Sport-Magazin, 04.10.2007
«Carlos, mach Action!»
Er gilt als Bösewicht der Super League, dabei ist Carlos Varela einer ihrer attraktivsten Spieler – und wenn die Welt gerecht wäre, würde er in der Nati spielen. Privat ist der Bad Boy von den Young Boys übrigens die Liebens-
würdigkeit in Person. Plädoyer für einen Verfemten.
Text: Bänz Friedli Fotos: Vera Hartmann
Natürlich war Patricia zu Tränen gerührt. Auf Berns schönster Sommerterrasse, im «Schwellenmätteli» direkt an der Aare, vermeinte sie ein Geburtstagsgeschenklein auszupacken – und stiess auf zwei Verlobungsringe. Just hier, wo sie sich kennen gelernt hatten, hielt ihr Carlos, ganz Romantiker, um ihre Hand an. Aber er würde nicht prahlen über den gelungenen Coup, blickt auf die Frage, ob die Liebste geweint habe, nur schüchtern zu Boden: «Ja, schon.»
Carlos Varela, eben 30 geworden, ist im besten Fussballalter. Er war Meister mit Servette und Basel, ist bei YB ein Reisser. Doch statt einer der berühmtesten Spieler der Schweiz zu sein, ist er ihr berüchtigtster. Kaum je erscheint sein Name ohne Zusatz: Schlitzohr, Hitzkopf, böser Bube. Seine Gegenspieler wählten ihn im «Blick» zum grössten Provokateur und unfairsten Spieler der Super League. Tatsächlich weist kein anderer ein solches Sünden-
register auf: Vierundachtzig gelbe, sechs rote Karten hat Varela in der höchsten Spielklasse schon gesehen. Einzig Luzerns Mario Cantaluppi steht ähnlich mies zu Buche.
Weich, leise
Die Wohnungseinrichtung in Hinterkappelen, einem Pendlervorort im Nordwesten Berns, ist in dezenten Naturtönen gehalten, im DVD-Regal stehen säuberlich mehrere Staffeln «Desperate Housewives» aufgereiht und kein einziger «Raging Bull», kein «Rambo», kein «Terminator». Das soll er sein, der verhassteste Spieler der Liga? Carlos Varela telefoniert gerade in perfektem Französisch am Handy, verabredet sich für einen Ausflug ins Eurodisney nach Paris. Dann schaltet er wieder auf sein drolliges Schweizerdeutsch um. «Kaffee?», fragt er die Gäste. «Das Kafimaschine isch en Gschänk vo mini Schwöschter.»
Weich und leise spricht er, nicht mit spanischem, sondern französischem Akzent, denn der Sohn spanischer Einwanderer wuchs in der Agglomeration von Genf auf.
Das Haar mit Gel nach hinten gestrichen, steht er in seinen Jeans und dem eng anliegenden Pulli breitschultrig und unerhört schlank da – ein Kerl, nach dem frau sich umdrehen würde. Freilich ist er viel feingliedriger, als er auf dem Fussballplatz wirkt, zurückhaltender, kurz: ein anderer Mensch.
Der öffentliche Varela ist ein Buhmann. Hinreissend zwar mitanzusehen, wie er sich in Lens in den freien Raum wuchtet, wie er förmlich explodiert, Hakan Yakins Pass in die Tiefe erspurtet, kraftstrotzend in den Strafraum dringt und den Ball dann mit schierer Eleganz aus spitzestem Winkel mittels Aussenrist leise ins Tor tippt. Weltklasse.
Doch was steht anderntags in der Berner Lokalpresse? «Der Heisssporn hatte sich erneut nicht im Griff und bald die Gegenspieler, den Schiedsrichter und das ganze Publikum gegen sich aufgebracht. Der disziplinlose Varela musste – wieder einmal – vor einem Platzverweis geschützt und ausgewechselt werden.»
Bescheiden, liebenswert
Daheim auf dem braunen Lounge-Sofa ist der angeblich Undisziplinierte die Demut in Person. «Vater und Mutter arbeiteten beide in der Fabrik bei Elna, sie als Näherin, er als Monteur.» Das Büezermilieu sei ihm wichtig, sagt er. Seine Verlobte, Patricia, stamme nicht nur wie er aus Galizien, sondern auch aus einer Arbeiterfamilie. «All meine Kollegen sind Leute, die 4000 Franken im Monat verdienen. Ich bleibe am Boden.» Elektromonteur hat er gelernt. «Und warum sollte ich nach dem Fussball nicht wieder ganz normal arbeiten gehen?» Nur einen Wunsch hegt er: nach Karrierenende drei Monate verreisen. «Das wäre ein Geschenk.»
Man möchte denen, die ihn hassen, und das sind die meisten, diesen Varela hier zeigen:
den bescheidenen, liebenswerten. «Ein Raser, ich? Habe viel zu viel Respekt vor dem Auto-
fahren!», sagt er. «Im Ausgang bin ich der ruhige Typ, gesoffen habe ich nie, nicht mal, als ich jung war. Am liebsten palavere ich sowieso daheim am Tisch mit meiner Freundin und ein paar Kollegen.» Ein Gemütlicher, ein Softie gar. «Wenn Patricia am Herd steht, halte ich es nicht aus. Ich war zehn Jahre allein und bin gewohnt, zu mir zu schauen. Ich ertrage nicht, dass eine für mich kocht. Da kann ich nicht auf dem Sofa sitzen bleiben, ich gehe ihr immer helfen.» Mit einem steten Kopfschütteln spricht er, meist schaut er scheu ins Leere. Varela preist die Ruhe im Quartier. Gleich nebenan steht eine Alterssiedlung. «Und es hat viele Familien.» Quert er den Rasen vor dem Wohnblock, fordern die Nachbarskinder ihn auf, ein Mätschli zu machen. Varela macht immer mit.
Täter oder Opfer?
Der Hitzkopf, ein freundlicher Typ. Doch die Saison war keine 88 Minuten alt, da flog er in Aarau schon wieder vom Platz, Gelb-Rot. Varela giftelt, zerrt, teilt versteckte Schläge aus, greift dir in die Eier, sagen Gegenspieler – und zuletzt will es dann doch keiner gesagt haben. Selbst Varelas ärgster Gegner Kristian Nushi nuschelt nur ins Handy: «Zu Varela sage ich gar nichts.» Vor Monaten behauptete Nushi noch, der YB-Spieler habe ihn im Cupspiel in Wil einen «Scheissalbaner» geschimpft. Worauf der «Blick» Varela Rassismus vorwarf – und gleich selber rassistelte: «In seinen Adern kocht spanisches Blut.»
Herr Varela, haben Sie «Scheissalbaner» zu Kristian Nushi gesagt?
Nein, ich wars nicht. Aber mir kann man halt alles anhängen.
Sie werden in jedem Stadion ausgepfiffen. Wie steckt man das weg?
Ich gehe nicht an Auswärtsspiele, um Applaus zu bekommen, sondern um ausgepfiffen zu werden. Das spornt mich an. Der Bösewicht der Liga bin ich noch so gern, das zeigt mir, dass ich kein Johann Vogel bin, sondern ein Spieler, der immer da ist, wo es heiss ist.
Ach, kommen Sie, die Wahl zum unfairsten Spieler hat Sie doch gekränkt!
Unfair? Ich habe noch nie eine Tätlichkeit gemacht. Die Schweiz hat einfach Probleme mit meinem Temperament. Der Schweizer Fussball ist viel zu sanft. Für Dinge, die in Spanien jedes Wochenende zig-mal passieren, macht man mir hier wochenlang den Prozess – wegen einem bisschen Körperkontakt mit dem Gegner.
Trotzig, sein Stolz. Und plötzlich ist da, sobald er über Fussball redet, dieses Feuer. Varela gestikuliert, wird lauter, schimpft über die Schweizer Duckmäusermentalität und das «Scheissreglement», das einen für zwölf gelbe Karten mit sechs Spielsperren bestrafe, derweil man deswegen in der Primera División nur zwei Partien verpasse. Carlos Varela, Täter oder Opfer?
Er beging in der letzten Saison am fünftmeisten Fouls, wurde aber auch selber 67-mal gefoult. «Klar steht ein Spieler mit einem solchen Image unter besonderer Beobachtung», sagt Markus Nobs, ehemaliger Fifa-Ref und heute im Fussballverband für die Schiedsrichter- ausbildung verantwortlich. «Doch nicht nur ihn beobachtet man kritisch, sondern genauso das Publikum, den Gegenspieler. Denn der wird zweifellos versuchen, einen wie Varela zu provozieren.» Keine Vorverurteilung, sondern im Gegenteil: «Als Schiri muss man einem Spieler wie Varela das Gefühl geben: Ich versuche dich zu beschützen. Er vergisst sich, sobald Emotionen ins Spiel kommen. Und dann wird es für den Schiri schwierig, mit ihm zu kommunizieren. Er ist dann in einer eigenen Welt, und das Ziel des Gegenspielers ist natürlich, ihn dorthin zu bringen.»
Nobs erinnert sich an ein Spiel mit Varela, das er leitete. «Ich wollte ihn kurz vor der Pause ermahnen, ihn beruhigen, aber ich kam gar nicht mehr an ihn heran. Man möchte ihm eigentlich helfen, aber wenn er ausser sich gerät, kannst du auch als Schiri irgendeinmal nicht mehr wegschauen.»
Herr Varela, sammelten Sie schon als Junior gelbe und rote Karten?
Ja, aber just dank meinem Image eines bösen Buben wurde ich 1996 mit 18 Profi. Oliver Neuville war verletzt, da kam Servette-Coach Umberto Barberis vor dem Cuphalbfinal gegen Xamax zum Trainer von uns A-Junioren und sagte: «Ich brauche einen, der schnell ist, keinen Respekt hat, flanken kann und ‹couilles› hat, Eier.» Er bekam mich, wir gewannen auf der Maladière 1:0, von da an war ich Profi. Auch Christian Gross wollte mich wegen des Kampfs und der Aggressivität in Basel und weil ich stolz aufs Leibchen sei.
_________________ For Ever
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