05.12.2023
Zitat:
Von Ballmoos oder Racioppi?
Der YB-Goalietrainer nimmt Stellung
Stammgoalie Anthony Racioppi leistet sich Fehler um Fehler. Ist das die Chance von David von Ballmoos? Christoph Born im Interview über die brisante Situation.
Christoph Born, wer steht am Mittwoch gegen Lausanne-Ouchy im Tor – Anthony Racioppi oder David von Ballmoos?
Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Es liegt nicht an mir, die Aufstellung zu kommentieren. Aber natürlich bin ich im engen Austausch mit Trainer Raphael Wicky.
Wie lautet denn Ihre Empfehlung an Wicky?
Der Inhalt unserer Diskussionen bleibt intern. Alle sehen jetzt die Fehler von Racioppi und vergessen, wie oft er uns gerettet hat …
… gegen Zürich, Roter Stern und Servette spielte er jeweils in der Startphase dem Gegner den Ball direkt in die Füsse. Wie erklären Sie sich das?
Wenn ich das wüsste, wäre ich Hellseher. Grundsätzlich ist das Spiel mit dem Ball eine Stärke von ihm.
Grundsätzlich?
Als er noch in Frankreich spielte und wir ihn beobachteten, hatte er hie und da solche Aussetzer. Auch in der ersten Phase in Bern. Aber er hat sich in dieser Hinsicht enorm verbessert, er wurde geradliniger. Nun ist er vorübergehend in alte Muster zurückgefallen.
Weshalb?
Eine gewisse Nervosität oder Verunsicherung mag da eine Rolle spielen. Aber mir gefiel auch sehr, wie er jeweils auf die Fehler reagierte. Er hat immer schnell in den Match gefunden und starke Leistungen gezeigt.
Racioppi scheint aber nicht aus Fehlern zu lernen.
Er ist selbstkritisch, er ist sich bewusst, dass er die Situationen anders hätte lösen müssen. Wir betreiben viel Videostudium, reden oft miteinander. Es geht darum, die Spielsituationen zu lesen, darauf vorbereitet zu sein, wenn der Gegner von Beginn an früh presst.
Eine Lösung wäre, den Ball wegzuschlagen.
Das ist so. Racioppi ist für mich ein Strassenfussballer unter den Goalies. Er ist technisch gut, hat den Ball gern am Fuss, er ist deshalb auch bereit, in der Spielauslösung Risiken einzugehen. Er muss nun wieder die Balance finden: Wann darf ich einen Pass spielen, wann nicht? Er muss eine klare Passsprache haben. Damit der Gegner versteht: Heute gibt es nichts zu holen.
Zu den Fehlern zuletzt kamen jene in Belgrad und gegen Leipzig dazu. Man hat den Eindruck, seit von Ballmoos, immerhin fünffacher Meistergoalie, im August zurückgekehrt ist, hat Racioppi an Souveränität verloren.
Das sehe ich nicht so. Er hat teilweise überragend gehalten. Er weiss, dass er sich keine Minute zurücklehnen kann. Das gehört zur Vereinspolitik von YB: Wir wollen auf jeder Position einen gesunden Konkurrenzkampf.
Wie lassen sich die Fehler dann erklären?
Die mentale Müdigkeit kann ein Faktor sein. Anthony Racioppi erlebt erstmals als Stammgoalie eine europäische Kampagne. Alle vier Tage performen zu müssen, das ist herausfordernd. Der Ausgleich in Belgrad kurz vor Schluss hat ihn enorm beschäftigt, nach dem Spiel war er am Boden zerstört. Und was macht von Ballmoos? Er ist sofort nach dem Schlusspfiff mit Dario Marzino zu Racioppi gegangen, um ihn zu unterstützen. Das hat gezeigt, dass im Goalieteam ein guter Spirit herrscht.
Was halten Sie davon, Racioppi eine Denkpause zu gewähren?
Bisher war das nicht unser Ansatz. Es ist klar, dass der Cheftrainer das Gespür für die ganze Mannschaft hat und die Entscheide trifft.
Bei Servette wechseln sich die Goalies Jérémy Frick und Joël Mall regelmässig ab. Wäre dieses Modell auch bei YB denkbar?
Ich weiss nicht, welche Gedanken in Genf dahinterstecken. Es kann funktionieren. Aber persönlich bin ich kein Fan von ständiger Rotation. Ein Goalie muss wissen, wie sich die Verteidiger und die Mittelfeldspieler verhalten – und umgekehrt. Wechselt man auf dieser Position hin und her, kann die Abstimmung leiden.
Bald ist Winterpause. Werden die Karten dann neu gemischt?
Das werden wir sehen. Klar ist, dass beide den Anspruch haben, die Nummer 1 zu sein.
Und dann hat YB mit Marvin Keller einen weiteren potenziellen Stammgoalie, der momentan an Winterthur ausgeliehen ist.
Wir haben eine Luxussituation. Eine, wie ich sie als Goalietrainer noch nie erlebt habe. Marvin brauchte Spielpraxis. Es macht Spass, zu sehen, dass er sich in Winterthur in der Super League sofort etabliert hat. Das zeigt, wie talentiert er ist. Aber er braucht natürlich noch Zeit und weitere Spielminuten, um auf höchstem Niveau in jeder Partie ausgezeichnet zu performen.
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