21.01.21

Zitat:
YB-Spieler Nicolas Ngamaleu
Wenn der Vater seinen kleinen Sohn monatelang nicht sehen kann
An Weihnachten durfte Nicolas Ngamaleu seinen 4-jährigen Sohn zum ersten Mal seit 9 Monaten in die Arme schliessen. Bei der Rückkehr nach Bern wurde er positiv auf Corona getestet.
«Papa, Papa, ich will zu dir!»
Am schlimmsten sind die Abschiede. Wenn Nicolas Ngamaleu seinem Sohn erklären muss, dass er nun wieder in die Schweiz fliegt, bricht für den 4-jährigen Ethan Mathis eine Welt zusammen. «Das zu sehen, tut sehr weh», sagt der YB-Mittelfeldakteur.
Seit Sommer 2017 spielt Ngamaleu für die Young Boys, Bern ist zu seinem Lebensmittelpunkt geworden, hier hat er Freunde gefunden, hier fühlt er sich wohl. Aber: Die Familie ist in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, geblieben. Sein Sohn lebte zunächst bei der Mutter, von der sich der Fussballer getrennt hat. Nun kümmern sich Ngamaleus Eltern um ihn. Oft muss er über längere Zeit ohne seinen Vater auskommen.
An sich ist die Situation für den kleinen Ethan Mathis also nicht neu. Doch 2020 war besonders herausfordernd. Und natürlich spielt die Corona-Pandemie dabei eine Hauptrolle.
Ferien? Fehlanzeige
Als sich Ngamaleu vor Weihnachten auf den Weg nach Yaoundé macht, blickt er auf ein äusserst turbulentes Jahr zurück. Seit die Saison 2019/20 im Juni nach einem über dreimonatigen Unterbruch wieder aufgenommen wurde, hat er 40 Partien bestritten. Die Young Boys gewähren ihrem Dauerläufer trotz des grassierenden Coronavirus einen Urlaub in der Heimat. Weil dieser seinen Sohn mittlerweile seit neun Monaten nicht mehr gesehen hat.
Von der alten ging es nahtlos in die neue Saison über, dazu kamen Einsätze für die Nationalmannschaft. Kurz: Sämtliche Ferien von Ngamaleu und damit die Möglichkeit, nach Hause zu reisen, fielen aus.
Doch dann ist es endlich so weit. Ngamaleus Augen glänzen, als er erzählt, wie sein Sohn vor Freude schreiend auf ihn zugerannt sei. Und er lächelt, als er hinzufügt, wie der Kleine als Erstes mit ihm Fussball spielen wollte, doch auf der Rückfahrt vom Flughafen eingeschlafen sei.
Die Familie feiert Weihnachten schliesslich im kleinen Rahmen. Ngamaleu will sich an die Vorgaben halten, nur seine Eltern, sein bester Freund und natürlich sein Sohn sind dabei. Einfach sei das nicht gewesen, sagt der 26-Jährige. «Aber das Wichtigste war sowieso, dass ich meine Eltern und meinen Sohn wiedergesehen habe.»
«Mit diesen Gedanken gehst du ins Bett»
Als Ngamaleu Anfang Januar zurückkehrt, fühlt er sich gesund. Doch die Sicherheitsmassnahmen der Young Boys schreiben vor, dass er sich einem Corona-Test unterziehen muss, ehe er zum Team stossen darf. Das bewährt sich. Denn: Das Ergebnis ist positiv, obwohl Ngamaleu keinerlei Symptome hat. «Für mich war das ein Schock, weil ich mich wirklich an alle Regeln gehalten habe», hält er fest. YB-Trainer Gerardo Seoane wird später sagen, der Entscheid, Ngamaleu nach Hause reisen zu lassen, sei gut überlegt und aus menschlicher Sicht richtig gewesen. Wer, wenn nicht er als dreifacher Familienvater, kann sich in die Situation seines Spielers hineinversetzen?
Damit sich Ngamaleu in der zehntägigen Isolation trotzdem ein bisschen fit halten kann, lässt ihm der Verein einen Hometrainer und andere Trainingsutensilien zukommen. Daneben vertreibt sich Ngamaleu die Zeit mit TV schauen, lesen – und natürlich ruft er regelmässig nach Hause an. Mindestens eine Stunde täglich spricht er via Videotelefonie mit seinem Sohn. Was einerseits schön ist – und andererseits schmerzt. Denn kein Gespräch vergeht, ohne dass der Kleine fragt, wann er endlich zu seinem Vater könne. «Das berührt dich», sagt Ngamaleu, «mit diesen Gedanken gehst du dann ins Bett.»
Gerne möchte er, dass sein Sohn bei ihm lebt. Aber im Moment sei dies nicht möglich, alleine wegen der Betreuung. Doch: In einem Jahr kommt Ethan Mathis in den Kindergarten, Ngamaleu hofft, dass er dies in Bern wird tun können. «Auf diesen Moment freue ich mich enorm», sagt er.
Ngamaleu ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. In einem Interview sagte er einmal, er sei Fussballprofi geworden, um seiner Familie helfen zu können. Das ist es, was ihn antreibt, deshalb nimmt er auch die nicht einfache Situation auf sich, vom Sohn getrennt zu leben. «Wenn du willst, dass es ihm an nichts mangelt, dann musst du arbeiten», hält er fest. «Und mein Metier ist der Fussball, etwas, das ich unglaublich gerne mache.»
Er schoss das schönste Tor des Jahres – und trifft nun kaum mehr
An guten Tagen ist Ngamaleu einer der spektakulärsten Spieler der Young Boys. Schnell, trickreich und gesegnet mit einem sehr feinen Fuss. Als Musterbeispiel dafür dient sein Treffer beim spektakulären 3:3 gegen St. Gallen im Februar. Am Donnerstag erhielt er dafür die Auszeichnung zum Tor des Jahres. Dieselbe Ehre war Ngamaleu 2017 in Österreich zuteilgeworden.
In den letzten Monaten ist ihm allerdings der Torriecher abhandengekommen. Nach wie vor wartet Ngamaleu auf seinen ersten Treffer in der Meisterschaft, was für ihn eine ungewohnte Situation darstellt. «Mich stört das enorm. Deshalb muss ich noch mehr an mir arbeiten, doppelt so viel investieren. Die grösste Herausforderung ist allerdings, geduldig zu bleiben», hält er fest.
Mindestens bis am Mittwoch aber muss er sich gedulden. Ngamaleu wird den Young Boys am Sonntag in Vaduz fehlen. Um sich an den Rhythmus zu gewöhnen, bestreitet er ein Testspiel mit der U-21-Equipe. Schliesslich wartet auf ihn wiederum ein happiges Programm mit 13 Partien bis Anfang März. Weshalb sich die Frage stellt: Wann wird er seinen Sohn wiedersehen? «Ich weiss es nicht», sagt Ngamaleu, «es wird eine schwierige Zeit.»
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