24.05.2025

Zitat:
Martin Fryand im Interview
«Als YB-Stürmer lebte ich fast am Existenzminimum»
Vom drohenden Konkurs bis in die Champions League: Martin Fryand erlebte YB in allen Facetten. Der frühere Spieler und nun abtretende Konditionstrainer liefert eindrückliche Anekdoten.
Martin Fryand erlebt emotionale Tage. Vergangenen Sonntag wurde der 53-Jährige von YB beim Spiel gegen den FC Basel verabschiedet. Es folgte eine Woche, in der er nach 23 Jahren bei den Bernern (davon 18 als Konditionstrainer) alles zum letzten Mal tat. Und nun steht am Samstag gegen den FC Lugano sein finaler Einsatz auf dem Programm.
Der in Münsingen wohnhafte Walliser kennt YB wie kaum einer. Er war noch Stürmer im alten Wankdorf, als die Berner in der NLB-Abstiegsrunde um ihre Existenz kämpften. Er erlebte den Einzug ins Neufeld und den Aufstieg zum Ligakrösus samt Partien in der Champions League. Bald beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt.
Martin Fryand, Schauen Sie sich Stelleninserate an?
Nein, ich habe klare Vorstellungen, was ich machen will. Ich habe mir als Mentaltrainer ein zweites Standbein aufgebaut. Zudem will ich im Sportbereich bleiben. Aber ich will nicht mehr fest angestellt sein, sondern mehr Freizeit haben. In den letzten Jahren war die Kadenz mit den internationalen Spielen sehr hoch.
Wir fragen, weil Sie 2007 durch ein Stelleninserat in der «Berner Zeitung» zum Job bei YB gekommen sind.
Das stimmt. YB suchte einen Kondi-Trainer für die U12. Von da an nahm alles seinen Lauf.
Sie hätten einfach anrufen und sagen können: «Hier ist euer ehemaliger Spieler Martin Fryand, habt ihr einen Job für mich?»
Das entspricht mir nicht. Ich bin etwas zurückhaltender und will nicht alles über Vitamin B regeln.
Ursprünglich machten Sie die Ausbildung zum Bäcker.
Ich war immer einer der Jüngsten in der Schule. Als es dann in der 9. Klasse darum ging, eine Lehrstelle zu finden, überforderte mich das. Ich war 15 und nicht reif genug. Also wählte ich den naheliegendsten Beruf. Mein Vater hatte eine Bäckerei.
Absolvierten Sie die Lehre bei ihm?
Nein, in Sitten, das passte, weil ich im Nachwuchs des FC Sion spielte. Ich stellte mir jeweils kurz nach Mitternacht den Wecker, um 1 Uhr in der Früh stand ich in der Backstube. Um 10.30 war Feierabend, ich legte mich für ein paar Stunden hin, ging ins Training, legte mich kurz hin. Und schon war wieder Mitternacht.
«Als ich 20 war, rief Christian Constantin an und gab mir einen Vertrag.»
Fussballer zu werden, daran dachten Sie nicht?
Doch, doch. Auf dem Heimweg von der Arbeit habe ich manchmal ein paar Spieler des FC Sion gesehen, auf der Place du Midi beim Kaffeetrinken. Ich dachte mir: «Da will ich auch hin.»
Sie meinen zum Käfele?
(lacht) Als Walliser ist es das Grösste, im Tourbillon einzulaufen. Und tatsächlich, als ich 20 war, rief Christian Constantin an und gab mir einen Vertrag. Er meinte, ich sei sein Stürmer Nummer 3.
Wie viel verdienten Sie?
Das müssen zwischen 4000 und 6000 Franken im Monat gewesen sein, plus Prämien. Für mich war das viel. Damals waren die Löhne tiefer, als Bäcker verdiente ich bloss 2500 Franken.
Und: Waren Sie Stürmer Nummer 3?
Beim Trainingsstart standen dann drei neue brasilianische Stürmer auf dem Platz. Unter anderem Roberto Assis, der ältere Bruder von Ronaldinho. So ambitioniert ist Constantin eben. (schmunzelt)
Später bei YB machten Sie einmal eine ähnliche Erfahrung …
… Sie meinen die Geschichte mit Stéphane Chapuisat?
Ja, erzählen Sie.
In der Sommerpause 2002 schlug ich die Zeitung auf und sah ein Foto von der Präsentation Chapuisats bei YB. Und welche Nummer war auf seinem Trikot? Natürlich, die 9, die bis dahin mir gehörte. Sportchef Fredy Bickel entschuldigte sich später, er habe es mir mitteilen wollen, aber es sei im Trubel untergegangen. Ich nahm das weder ihm noch Chapuisat übel. Mit Stéphane habe ich gerade in dieser Woche wieder darüber gelacht.
Mit YB erlebten Sie um die Jahrtausendwende auch die Krisenzeiten im alten Wankdorf.
Das war schwierig. Manchmal mussten wir monatelang auf den Lohn warten. YB-Präsident Martin Maraggia gab uns von seinem eigenen Geld, damit wir wenigstens die Rechnungen bezahlen konnten.
Waren Sie da schon Vater?
Ja. Und meine Frau arbeitete noch nicht wieder. Es war nicht einfach, über die Runden zu kommen. Wir lebten fast am Existenzminimum, aber uns fehlte es an nichts. So ging das ein, zwei Jahre. Heute denke ich manchmal: Das würde dem einen oder anderen vielleicht auch guttun. Aber ich habe immer gern für YB gespielt. Und die schwierige Zeit hatte auch ihr Gutes.
Wie meinen Sie das?
Die, die konnten, verliessen YB. Übrig blieben viele junge Spieler, wir waren eine richtig verschworene Einheit. Und Betreuer Hene Minder verkaufte mit seiner Frau Silvia nebenbei Weinflaschen und gab das Geld der ersten Mannschaft. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Heute bewegt sich YB in völlig anderen Dimensionen.
«Wie das Stadion beim Schlusspfiff explodierte und die Fans auf den Rasen stürmten, das sind Eindrücke fürs Leben.»
Der Club hat sich in Ihrer Zeit bei YB enorm verändert.
Es ist schon krass. Das alte Wankdorf fiel beinahe auseinander, aber es hatte Charme. Und es gab einen harten Kern von Fans, der jede Reise in die Provinz mitmachte. Das war schön. Auch die Zeit im Neufeld ist unvergesslich, die Leute waren so nahe dran. Wir kamen nach dem Spiel aus der Kabine und standen schon im Festzelt.
Ihre Karriere endete 2002 mit einem Achillessehnenriss – ausgerechnet im Tourbillon.
Noch heute kommen die Gedanken daran hoch, wenn wir mit YB in Sitten gastieren. Die Verletzung war ein riesiger Schock. Gerade noch lebte ich meinen Bubentraum, dann war alles vorbei. Ich war 30 und hatte zwei kleine Kinder. Zum Glück absolvierte ich in den Jahren zuvor die Handelsschule.
Was machten Sie dann?
Ich heuerte bei einer Versicherung an, verkaufte Lebensversicherungen. Aber ich merkte rasch, dass ich nicht der Verkäufertyp bin. Das war eine schwierige Zeit. Ich fiel in ein Loch.
Wie kamen Sie da heraus?
Ich landete wieder in der Bäckerstube und begann, nebenbei in einem Gym als Fitnesstrainer zu arbeiten. Das behagte mir. Und dann kam bald die Chance im YB-Nachwuchs. Mir ging es rasch besser.
«Als Raphael Wicky im letzten Jahr gehen musste, war das schwierig zu verdauen.»
Sie wurden mit YB sechsmal Meister und gewannen zweimal den Cup. Gibt es einen Titel, der Ihnen besonders am Herzen liegt?
Natürlich der erste 2018. Schlicht, weil er der emotionalste war. Wie das Stadion beim Schlusspfiff explodierte und die Fans auf den Rasen stürmten, das sind Eindrücke fürs Leben. Dass es so weit kam, daran hatte Trainer Adi Hütter einen grossen Anteil.
Inwiefern?
Als er 2015 nach Bern kam, redete er bald einmal vom Titel. Aber er sagte nicht: «Wir wollen Meister werden.» Sondern: «Wir werden Meister.» Bis irgendwann alle daran glaubten. Wenn wir ein Tor erhielten, hatten wir null Angst. Wir waren überzeugt, noch einen Treffer zu erzielen. Und wir hatten Spieler, die diese Selbstsicherheit verkörperten.
An wen denken Sie?
Guillaume Hoarau. Er kam als französischer Nationalspieler. Wenn so einer der Mannschaft sagt: «Jungs, keine Angst, ich mache schon noch einen», dann nimmst du ihm das auch ab.
Prägend muss für Sie auch die Zeit mit Raphael Wicky gewesen sein. Sie wuchsen beide im kleinen Oberwalliser Dorf Steg auf.
Wenn YB in den Jahren zuvor einen Trainer suchte, schrieb ich ihm jeweils, ob er nun endlich nach Bern komme. Als es dann 2022 klappte, war das natürlich schön. Unsere Herkunft verbindet. Und er ist ein guter, innovativer Trainer. Als er im letzten Jahr gehen musste, war das schwierig zu verdauen.
Kamen Sie ins Grübeln?
Das belastete mich tatsächlich. Aber eigentlich wollte ich schon vorher aufhören. Ich mache mir jeweils Fünfjahrespläne. Ich hatte mir vorgenommen, mit 50 den Job zu wechseln, um mehr Zeit für die Familie und mich zu haben. Aber dann kam Raphi.
Welche Spieler haben Sie in den 16 Jahren bei YB am meisten beeindruckt?
In der ersten Zeit stach sicherlich Seydou Doumbia heraus. Er kam als No-Name aus Japan. Wurde er eingewechselt, dribbelte er los. Obwohl der Ball nicht machte, was er wollte, kam er doch irgendwie durch. So schnell war er. Und er war ein sehr angenehmer Typ. Er veränderte sich auch nicht, als er zum Star wurde. Nie hätte er gesagt: «Fry, was machen wir da bloss!?»
Wer kommt Ihnen sonst noch in den Sinn?
Sékou Sanogo. Im Mittelfeld drückte er mit seinen Ellbogen jeden Gegner weg, privat aber war er der liebste Kerl. Marco Wölfli über all die Jahre begleiten zu dürfen, empfand ich ebenso als besonders, wir spielten bei YB noch zusammen. Und dann war da natürlich Hoarau.
Was zeichnete ihn neben seiner Selbstsicherheit aus?
Seine Lockerheit. Auf den Heimfahrten von Spielen nahm er die Gitarre hervor und machte Musik …
… aber ein Trainingsweltmeister war er nicht …
… das stimmt eben nicht. Natürlich, als er älter und körperlich anfälliger wurde, mussten wir Rücksicht auf ihn nehmen. Aber in den Jahren zuvor ging er im Training immer voran.
Wer war der schnellste YB-Spieler?
Wir hatten immer wieder schnelle Spieler. Doumbia etwa, Roger Assalé und Meschack Elia. Der Tod seines kleinen Sohnes im letzten Dezember war ein enormer Schock.
War es für Sie der Tiefpunkt in Ihrer Zeit bei YB?
Definitiv. Ich weiss noch, als ihm die Nachricht überbracht wurde, stiegen wir in Stuttgart gerade aus dem Bus. Das alles hautnah mitzuerleben, tat sehr weh.
Und doch stand am nächsten Tag das Spiel in der Champions League beim VfB an.
Es muss immer weitergehen. Damit hatte ich Mühe. Aber du funktionierst einfach. (macht eine längere Pause)
Wir waren bei den schnellsten Spielern.
Kevin Mbabu war auch aussergewöhnlich. Zu Beginn dachten wir: «Boah, mit dieser Technik wird das nie etwas.» Aber er machte enorme Fortschritte, marschierte die Seite rauf und runter. Und bald einmal landete fast jede seiner Flanken auf dem Kopf Hoaraus.
Welcher YB-Spieler hatte die beste Kondition?
David Degen (heute Präsident und Mitbesitzer des Meisters FC Basel). Auch nach dem achten Intervalllauf plapperte er munter mit seinen Mitspielern. Er redet ja gern. (schmunzelt) Und Gilles Yapi wurde auch nie müde. Ein super Typ, ein totaler Leader.
Was werden Sie künftig am meisten vermissen?
In den letzten sieben Jahren bin ich richtig geflogen. Fast jedes Jahr gewannen wir den Titel. Und dann die Meisterumzüge. Ich weiss schon ein wenig, wie man feiert. (schmunzelt)
Und auf was freuen Sie sich am meisten?
Auf die regelmässige Freizeit. Kitesurfen, in die Badi gehen, spazieren, meine Eltern im Wallis besuchen. Das alles kam zu kurz. Und ich freue mich auf die Ferien. Am Montag reisen meine Frau und ich für drei Wochen nach Sri Lanka.
Diesmal müssen Sie sich nicht mehr sorgen, ob jeder Spieler seinen Trainingsplan umsetzt.
Als Konditionstrainer konnte ich nie richtig abschalten, selbst in den Ferien nicht. Spieler meldeten sich mit Fragen. Und sobald der Trainingsstart näher rückte, mussten sie ihre Werte schicken. Dann galt es, den einen oder anderen zu ermahnen. Nein, das werde ich bestimmt nicht vermissen.
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