28.09.2024
Zitat:
YB-Dribbelkönig Jaouen Hadjam
Verzücken oder entsetzen – bei ihm ist Spektakel garantiert
Kaum ein Spieler polarisiert bei den Young Boys so wie der 21-jährige Algerier. Warum er vom Stürmer zum Aussenverteidiger wurde – und wie wild sein Transfer zu YB verlief.
In Kürze:
- Jaouen Hadjam wuchs im Vorort Alfortville bei Paris auf.
- Mit 13 wurde er vom Stürmer zum Aussenverteidiger umfunktioniert.
- Im Januar 2024 wechselte er von Nantes zu YB.
- Er steht sinnbildlich für den turbulenten Saisonstart der Berner.
Gewöhnlich? Gibt es bei ihm nicht. Jaouen Hadjam ist so etwas wie der Berner Pulstreiber. Setzt er mit seinem feinen linken Fuss zu einem Dribbling an, kann er damit 30’000 im Wankdorf verzücken. Ebenso gut gelingt es ihm, Fans und Mitspieler auf Hochtouren zu bringen – David von Ballmoos lässt grüssen. Ende Juli hielt es der Goalie beim 0:4 in St. Gallen nicht mehr aus, als Hadjam zum wiederholten Mal im eigenen Strafraum zum Kunststück ansetzte, er packte ihn kurzerhand am Kragen.
Hadjam sagt: «Ich bin der Typ Strassenfussballer, ich mag es, kreativ zu sein.» Das sei für ihn eine Art, seine Persönlichkeit auf dem Rasen auszudrücken. «Ich bin ein fröhlicher Mensch. Für mich ist es ein Geschenk, Fussballer zu sein.» Und doch ist ihm bewusst, dass er ein Gespür dafür entwickeln muss, wann und vor allem wie viel Risiko und Spektakel angebracht sind. «Ich mag es, zu dribbeln. Aber manchmal ist es ein bisschen zu viel, das weiss ich, und dort muss ich ansetzen.»
Dabei kommt dieses Verspielte nicht von ungefähr. Schliesslich musste Hadjam erst dazu überredet werden, als Aussenverteidiger zu spielen.
Er sollte Kampfsportler werden
Mit 13 kommt er in den Ausbildungspool in Reims. Diese sich über ganz Frankreich erstreckenden Einrichtungen bereiten Spieler zwischen 13 und 15 Jahren darauf vor, in das Ausbildungszentrum eines Profivereins aufgenommen zu werden. Hadjam ist als Bub Stürmer und spielt zuweilen auch als klassischer «Zehner» – bis ihn der Trainer im zweiten Jahr in Reims ins Büro bittet.
Hadjam erzählt diese Episode mit solcher Leidenschaft, dass man sich förmlich am Gespräch beteiligt fühlt. Der Trainer habe gesagt: «Jaouen, ich habe einen Vorschlag für dich: Du hast einen guten linken Fuss. Wie wäre es, wenn du als linker Aussenverteidiger spielen würdest, diese Position ist auf hohem Niveau gefragt, und du hättest Potenzial.» Für ihn aber sei eine Welt zusammengebrochen. «Ich rief meine Mutter an und sagte: ‹Das ist unglaublich, so etwas mache ich nicht. Ich bin Stürmer, fertig, Schluss.›»
Doch der Trainer lässt nicht locker und schlägt Hadjam einen Kompromiss vor: Er spielt abwechslungsweise als Stürmer und linker Aussenverteidiger. Damit kann er sich arrangieren, zumal es ihm nach wie vor die Möglichkeit bietet, sich bei einem Club als Angreifer zu empfehlen. Ein paar Monate später nimmt ihn der Paris FC aus der Ligue 2 in sein Ausbildungszentrum auf – als Aussenverteidiger. Seither ist das Thema für Hadjam erledigt.
Dabei sollte aus dem Jungen aus dem Vorort Alfortville im Süden von Paris eigentlich gar kein Fussballer werden. Vater Hadj sieht für das zweitälteste seiner vier Kinder eher den Kampfsport als geeignete sportliche Betätigung. Tatsächlich versucht Klein Jaouen vieles aus: Boxen, Karate, Judo – immer mit dem grossen Bruder Raïs. Doch als dieser zum Fussball geht, ist es um den Kampfsportler Jaouen Hadjam geschehen. Seither jagt er dem Ball hinterher – und das äusserst überzeugend.
Mit 12 kann er gar in den Nachwuchs von Paris Saint-Germain gehen. Während eines Jahres pendelt er zwischen Alfortville und dem Trainingszentrum hin und her: eineinhalb Stunden pro Weg, je nach Verkehr auch mehr, viermal pro Woche. Die Hausaufgaben erledigt er jeweils im Auto. «Auf die Dauer wurde das zu viel», sagt er. Also bricht er das Experiment bei PSG ab – begegnet seinem Lieblingsclub aber viele Jahre später wieder: als Gegner.
Last-Minute-Transfer zu YB
Im Januar 2023 wechselt Hadjam zu Nantes in die Ligue 1. Er entwickelt sich bei den Bretonen rasch zum Stammspieler. Doch nach einem Trainerwechsel ist er nicht mehr erste Wahl, in der Hinrunde der letzten Saison spielt er kaum noch. Also sieht sich Hadjam um und landet Anfang 2024 in Lüttich. Die medizinischen Tests hat er beim belgischen Traditionsverein Standard bereits bestanden, der Vertrag ist unterschriftsbereit, da melden sich die Young Boys.
Weil Ulisses Garcia zu Marseille wechselt, suchen sie nach einem Ersatz für die linke Abwehrseite. «Ich musste entscheiden, was besser für meine Karriere ist», sagt Hadjam. «YB gewinnt fast jedes Jahr den Titel und ist europäisch vertreten. Das ist für jeden Spieler sehr wertvoll. So kann ich mich zeigen.» Also zieht er direkt von Lüttich nach Bern weiter.
Mit YB holt er den Titel und qualifiziert sich für die Champions League. Doch ist gerade er auch Sinnbild für den holprigen Saisonstart. Gegen Sion fliegt er zum Auftakt mit Gelb-Rot vom Platz, dafür spielt er ein paar Wochen später in der Qualifikation für die Königsklasse gegen Galatasaray gross auf.
Der Start in die Saison war schlecht, vom Team, von mir selbst», sagt er. Während des schwierigen Halbjahres in Nantes habe er jedoch gelernt, wie wichtig es sei, weiter zu arbeiten. «Schlechte Leistungen gehören im Leben eines Fussballers dazu. Was zählt, ist, wie du darauf reagierst.»
Der erste Meisterschaftssieg in Winterthur habe eine Blockade gelöst, ist er überzeugt. Nun gelte es, am Samstag gegen GC dort anzusetzen, ehe am Dienstag in der Champions League gegen Barcelona ein weiteres Highlight folgen wird. «Damit geht ein Kindheitstraum in Erfüllung», sagt der 21-Jährige. Es soll nicht der letzte sein.
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