05.11.2023

Zitat:
Nach dem 4:1 gegen Winterthur
Wicky und das kleine Eingeständnis unter Fussballtrainern
Drei Tage vor dem Auftritt in Manchester holen sich die Berner in Winterthur die Tabellenführung. In einem Spiel, in dem YB oft nur noch Fouls helfen.
Lange nach dem Schlusspfiff machte die Erzählung einer kleinen Szene die Runde. Sie soll sich zwischen Raphael Wicky und Patrick Rahmen zugetragen haben, den beiden Trainern, die ein gutes Stück Lebenslauf gemeinsam haben. Sie waren beide U-21-Trainer beim FC Basel, bevor sie ebenda die erste Mannschaft übernahmen. Inzwischen leiten sie beide ein anderes Team in der Super League an. Am Samstagabend trafen sie auf der Schützenwiese in Winterthur aufeinander.
Und nach diesem Spiel, da kam es also zu dieser kleinen Szene. Wickys Young Boys hatten Rahmens FC Winterthur gerade 4:1 bezwungen. Dann soll Wicky zu Rahmen gesagt haben: «Du hast mich überrascht.»
Öffentlich sagt das kaum je einer, man könnte das einem Trainer als Schwäche in der Vorbereitung auslegen. Aber so von Trainer zu Trainer, zumal sich die beiden gut verstehen, da kann man sich das schon mal eingestehen.
Die Überraschung war taktischer Natur: Rahmen hatte gegen den Meister erstmals in dieser Saison mit einer Fünferkette verteidigt. In den zwölf Runden zuvor hatte er ausschliesslich auf eine Viererkette gesetzt.
«Wir haben es in der Anfangsphase nicht intelligent gelöst, wie wir da auf diesem tiefen Platz noch kurz-kurz spielen wollten.»
YB-Trainer Raphael Wicky
Auch dank dieser Überraschung entwickelte sich praktisch vom ersten Einwurf an eine Partie, über die die Meinung schnell gebildet war. 8400 Menschen auf der ausverkauften Schützenwiese fanden beste Unterhaltung, Kurzweil, Spass. Weiter unten sah es Trainer Wicky anders: «Spass habe ich keinen, wenn wir so viele Torchancen zulassen.» Und weiter: «Wir haben es in der Anfangsphase nicht intelligent gelöst, wie wir da auf diesem tiefen Platz noch kurz-kurz spielen wollten.»
Eine Szene, die in diese Kategorie fällt, führte zur Winterthurer Führung. Goalie Anthony Racioppi wollte Sandro Lauper anspielen und legte den Ball stattdessen in Torschütze Samuel Ballets Füsse. Der Pass geriet auch deswegen zu kurz, weil der Rasen wie ein Schwamm den Dauerregen aufgesogen hatte. Einmal rollte der Ball in Richtung Seitenaus, die 22 Protagonisten gaben ihn auf, bevor er vom getränkten Rasen gestoppt wurde und auf der Seitenlinie stehen blieb. Ugrinic reagierte am schnellsten.
Jener Ugrinic war einer der acht Neuen im Vergleich zum Cupspiel in Rapperswil. Seine Rückennummer 7 war auf dem weissen Trikot nach einer Viertelstunde nicht mehr zu entziffern, derart viel Dreck hatte er sich mit seinen Grätschen aufgeladen. Ugrinic war es, der kurz vor der Pause für den Bruch in der Winterthurer Darbietung sorgte: Darian Males spielte ihn an, und der offensive Mittelfeldspieler erzielte das 2:1, über alle Wettbewerbe gesehen seinen fünften Saisontreffer.
Knapp 40 Minuten zuvor hatte Joël Monteiro gegen Winterthurs Goalie Marvin Keller, auch er ausgeliehen von YB, ausgeglichen. Zur Pause liess sich Monteiro auswechseln, nachdem er einen Schlag kassiert hatte. Ebenso erging es Meschack Elia, der knapp zehn Minuten vor Schluss den letzten Treffer erzielte, jenen zum 4:1. Wie er in dieser Szene mit seiner Hand einen Pass anzeigte und den Gegenspieler damit in die falsche Richtung schickte, um dann von der Strafraumgrenze zu treffen, da umgab ihn etwas Schelmisches.
Der 26-Jährige muss ganz genau wissen, wie gut er momentan drauf ist. Sein Tor gegen Manchester City ist jetzt schon für jeden Saisonrückblick vorgemerkt, und gegen Winterthur traf er erstmals in einem Spiel, das YB gewinnt.
Lauper fliegt erstmals in seiner Karriere vom Platz
Dass YB diese Partie gewinnen würde, war lange mehr als fraglich. Denn Winterthur jagte den Bernern im Zentrum gleich reihenweise die Bälle ab.
Alexandre Jankewitz, der von YB ausgeliehen ist, war einer der zentralen Elemente in diesem Pressing. Und wenn die Winterthurer den Ball einmal hatten, spielten sie sich mit zwei Pässen in eine Abschlussposition. Nach so einer Aktion traf Nishan Burkart nach einer halben Stunden den Pfosten.
Winterthur hätte auch deswegen mehr mitnehmen können als null Punkte, weil sie die letzten 30 Minuten in Überzahl spielten. Sandro Lauper hatte Tobias Schättin mit gestrecktem Bein knapp unterhalb des Knies getroffen. Schiedsrichter Anojen Kanagasingam nahm dank dem VAR die Gelbe Karte zurück und schickte Lauper erstmals in dessen Karriere mit Rot vom Platz. Lauper ist auch der erste Berner, der in dieser Saison vom Feld verwiesen wurde.
Die vielen Karten zeigen: YB fehlten die Mittel
Neben Laupers Roter Karte sahen vier Berner Gelb. Das gab es in dieser Saison erst einmal. Und es zeigt, wie YB manchmal die Mittel fehlten gegen diesen FC Winterthur, der noch immer die statistisch beste Offensive der Liga hat, nach diesem Wochenende gemeinsam mit den Young Boys.
Winterthurs Trainer Rahmen sagt es so: «Die Leute haben Freude an uns. Deswegen gibt es keine negativen Stimmen, auch wenn wir jetzt verloren haben. Aber ich bin enttäuscht, weil wir ein Topspiel abgeliefert haben, ein attraktives, eines, in dem wir phasenweise die bessere Mannschaft waren.»
Lauper wird wegen der Roten Karte fehlen, wenn die Berner am 11. November den FC Luzern empfangen. Sie tun das als Tabellenführer, weil der FC Zürich gegen Servette 0:2 verloren hat. Vorerst aber tritt YB am Dienstag bei Manchester City in der Champions League an.
Und das Beste, was Wicky dann passieren kann, wäre ein Eingeständnis von Citys Trainer Pep Guardiola: «Du hast mich überrascht.»
Winterthur - YB 1:4 (1:2)
Schützenwiese. 8400 Zuschauer (ausverkauft). SR: Kanagasingam.
Tore: 4. Ballet 1:0, 6. Monteiro 1:1, 43. Ugrinic 1:2, 72. Benito 1:3, 83. Elia 1:4.
YB: Racioppi; Blum (80. Janko), Camara, Benito, Garcia; Lauper; Males (61. Niasse), Ugrinic, Monteiro (46. Colley); Elia (91. Persson), Nsame (80. Itten).
Bemerkungen: 31. Pfostenschuss Burkart (Winterthur). 59. Rote Karte gegen Lauper. YB ohne Imeri, Lakomy (verletzt), Chaiwa, Deme (U-21), Rrudhani, Marzino, Zbinden (nicht in Aufgebot).
https://www.bernerzeitung.ch/nach-dem-4 ... 9674618151