Bund, 26.11.2005
Ehrenmedaille und Hühnerhaut
Mit Togo hat Yao Aziawonou die WM-Endrunde erreicht, heute trifft er mit den Young Boys im Stade de Suisse auf St. Gallen (19.30 Uhr)
YB-Spieler Yao Aziawonou hat sich mit Togo für die WM-Endrunde in Deutschland qualifiziert und dadurch in seinem Land enorme Euphorie ausgelöst: «Noch heute bekomme ich Hühnerhaut, denke ich an diese Momente zurück.»
«Als wir im letzten WM-Qualifikationsspiel die Teilnahme an der Endrunde in Deutschland sicherstellten, war die Freude unter uns Spielern natürlich sehr gross», sagt Yao Aziawonou mit Rückblick auf den 8. Oktober. «Nur: Was dies jedoch bedeutete respektive in unserer Heimat auslöste, wurde uns erst am nächsten Tag richtig bewusst, als wir zurück in Togo waren.» Der 3:2-Sieg in Brazzaville gegen Kongo und die erstmalige WM-Qualifikation stürzte das westafrikanische Land nämlich in einen Freudentaumel; der Staatspräsident erklärte den Tag danach, ein Montag, kurzerhand zum Feiertag.
30 000 Leute am Flughafen
Die Spieler des togoischen Nationalteams wurden am Flughafen in Lomé von einem roten Teppich und rund 30 000 Fans empfangen; danach fand im Nationalstadion eine grosse Feier statt. «Viele Leute, ob alt oder jung, weinten vor Freude. Es war unglaublich, einmalig, unvergesslich. Noch heute bekomme ich Hühnerhaut, denke ich an diese Momente zurück», erzählt Aziawonou mit leuchtenden Augen und streckt dem Gesprächspartner als Beweis die Arme entgegen. «Die politischen Probleme im Land gerieten in Vergessenheit; erbitterte Gegner lagen sich in den Armen und feierten gemeinsam unseren Erfolg.» Er sei durchaus ein wenig stolz darauf, dass das Fussballnationalteam einen Beitrag zur innenpolitischen Entspannung und Versöhnung geleistet habe, sagt Aziawonou und berichtet davon, dass alle Nationalspieler vom Präsidenten mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet worden sind. «Ich fragte mich, ob diese seltene Ehre tatsächlich gerechtfertigt sei; doch man beschied uns, wir hätten die Auszeichnung verdient. Auch in 100 Jahren würden die Leute noch von diesem Moment sprechen.»
Nigerianischer Trainer
Als Schlüsselmoment auf dem Weg nach Deutschland bezeichnet der YB-Spieler, der in zehn WM-Qualifikationspartien sieben Mal während 90 Minuten eingesetzt wurde und zu zwei weiteren Teileinsätzen gelangte, den 3:1-Heimsieg gegen Gruppenfavorit Senegal im zweiten Spiel der Ausscheidung. «Die Spieler des WM-Viertelfinalisten fühlten sich als Stars, traten hochnäsig auf», sagt Aziawonou, der am Mittwoch seinen 26. Geburtstag feiert. «Das 3:1 liess uns an den Gruppensieg glauben.»
Nicht unwesentlichen Anteil am Erfolg der «Eperviers» (Sperber), wie die Auswahl Togos genannt wird, hatte der nigerianische Trainer Stephen Keshi, als Spieler in Anderlecht und Strassburg tätig sowie 1994 an der WM in den USA Captain des nigerianischen Nationalteams. «Normalerweise geniessen in Afrika nur europäische Trainer den Respekt von der Verbandsspitze. Auf Afrikaner wird nicht zuletzt punkto Aufstellung immer Druck auszuüben versucht», sagt Aziawonou. «Doch bei Stephen Keshi ist das anders. Ihn kennen in Afrika alle, er ist eine Respektsperson und hat sein Trainerdiplom in Holland gemacht. Er weiss, was er will – und weiss dies auch umzusetzen. Keshi lässt nicht die Lieblinge des Präsidenten spielen, sondern die elf besten.»
Aziawonou erwähnt auch den Umstand, dass der Trainer respektive dessen Mitarbeiter um die Spieler bemüht seien.«Man ruft mich an, erkundigt sich nach Resultaten in der Meisterschaft oder meinem Wohlbefinden – erfährt man diese Wertschätzung, ist man bereit, stets alles zu geben.»
Eltern drückten ein Auge zu
Der Weg zum Fussballer ist Aziawonou, der in Togo mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist, relativ leicht gefallen – und durch seine guten Leistungen in der Schule begünstigt worden. «Vom Fussballspielen auf der Strasse waren die Kleider zum Missfallen meiner Mutter immer sehr staubig», erzählt er lachend. «Weil aber meine Noten in Ordnung waren, drückten meine Eltern ein Auge zu.»
Schnell wurde Aziawonous Talent erkannt, erst von Modele de Lome und schliesslich in der Qualifikation zur U-17-WM von ausländischen Talentspähern. Diese hatten Spieler des Gegners Ghana beobachten wollen. Doch nach der Partie standen die Namen dreier Togoer in den Notizbüchern, darunter jener Yao Aziawonous.
Der junge Togoer, dessen grosses Vorbild der Argentinier Redondo ist, sollte nach Frankreich wechseln, in die Nachwuchsabteilung von Bordeaux. Auch hier spielte die Schule eine wichtige Rolle: «Mein Vater bestand darauf, dass ich die Schule im Ausland beende. Sonst hätte er mich diesen Schritt nicht machen lassen.» Von Bordeaux, wo sich Aziawonous Weg während einiger Wochen mit jenem des heutigen YB-Trainers Gernot Rohr kreuzte, kam der Mittelfeldspieler über Nantes in die Schweiz, wo er 1998 bei Sion unterschrieb und via Wangen, Basel, Thun sowie Servette im Sommer 2004 zu YB wechselte.
Neuer Wind bei YB
Das Engagement bei den Bernern hat sich für den mit einer Schweizerin verheirateten Afrikaner noch nicht wie gewünscht entwickelt; oft muss er das Geschehen von der Seitenlinie aus mitverfolgen. «In solchen Situationen gilt es, sich in den Dienst der Equipe zu stellen und im Training mit gleichem Einsatz weiterzuarbeiten. Man muss bereit sein, wenn sich eine Chance ergibt», sagt Aziawonou, der einen Vertrag bis 2007 mit Option auf eine weitere Saison hat. Motivation erhielt er auch dadurch, dass er den Platz im Nationalteam Togos stets behalten hat.
Bezüglich der Situation bei YB meint der elegante, manchmal etwas nonchalant wirkende Fussballer, man spüre, dass Bewegung im Team sei. «Durch den Wechsel von Trainer Hans-Peter Zaugg zu Gernot Rohr hat sich zwar nicht das Talent der Spieler geändert, aber deren Lust und Wille, die Qualitäten unter Beweis zu stellen. Es ist mehr Dynamik in der Gruppe.» Aziawonou beweist, die offensichtlich defensive Orientierung des neuen Trainers bereits verinnerlicht zu haben. «Eine solide Defensive bildet die Basis für Erfolge. Ausserdem verfügen wir über sehr schnelle Stürmer, welche für die Differenz sorgen können.»
Derby gegen die Schweiz?
Heute im Heimspiel gegen St. Gallen sowie in den restlichen Partien des Jahres, so betont Aziawonou, gehe es für YB in Meisterschaft und Cup darum, den Europacup im Auge zu behalten. Erst dann gilt die Konzentration des Mittelfeldspielers mit häufig exzentrischen Frisuren («Man muss den Mut haben, aus dem Gewöhnlichen auszubrechen») wieder internationalen Aufgaben. Ab 20. Januar steht der Afrika-Cup in Ägypten auf dem Programm.
Und auf welche Gegner hofft er, wenn am 9. Dezember in Leipzig die Gruppen für die WM-Endrunde ausgelost werden? «Brasilien oder Holland wären schön; sonst habe ich keine Präferenzen. An der WM hat es nur starke Equipen und viele grosse Spieler, von denen man etwas lernen kann – oder denen man beweisen kann, ebenfalls Fussball spielen zu können.» Und wie wäre es, gegen die Schweiz anzutreten? «Warum nicht?», sagt Aziawonou, dem die Vorstellung gefällt: «Das wäre für mich ein äusserst spannendes Derby . . .»
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