15.02.2024
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Hoffnung, Heimweh und Rückschläge: Das Leben von Aarau-Stürmer Yannick Touré gleicht einer Fahrt auf der Achterbahn
Er galt als eines der grössten Sturmtalente der Schweiz. In Newcastle stand er unter Rafael Benitez auf der Startrampe. Doch Corona in England und Verletzungen in der Schweiz bremsten ihn aus. Jetzt hofft Yannick Touré auf den Durchbruch beim FC Aarau. Aber auch hier lief es bisher nicht reibungslos.
Die Erleichterung muss gross gewesen sein. Yannick Touré traf am letzten Samstag im Heimspiel gegen Stade Nyonnais kurz vor Schluss zum 5:2 für den FC Aarau. Es war ein Tor, das für ihn wohl wichtiger war als für das Team. Denn es war sein erster Treffer seit fast anderthalb Jahren und einem Tor für den FC Thun am 16. September 2022 im Cup gegen Xamax. Der 23-jährige Touré spricht von einer «Erlösung», nach allem, was passiert sei.
Ja, was war denn passiert? 17 Monate ohne Tor sind eine lange Zeit, für einen Stürmer ohnehin. Aber die Torflaute war nicht das Problem. Der Hauptgrund für die Torflaute war das Problem. Touré war nämlich verletzt. Immer wieder. Immer wieder. Zwischen jenem 16. September 2022 und dem letzten Samstag verpasste er für seine Klubs Thun, Young Boys und Aarau 38 von 55 Spielen. Muskuläre Probleme plagten ihn.
Im Brügglifeld fiel er mit Adduktorenproblemen aus, kaum hatte er sich in der Stammformation festgespielt. Touré spricht von einer «nicht einfachen Zeit», weil die Verletzung das Einleben im neuen Umfeld erschwerte. «Ich trainierte für mich allein. Ich sah die Mitspieler zwar jeden Tag, aber ohne Mannschaftstraining war ich nicht so nah beim Team», blickt er zurück.
Aber aufzugeben war für ihn keine Option. «Das wird nie passieren. Ich habe gelernt, Dinge zu akzeptieren und dagegen anzukämpfen.» So reden viele daher, aber bei Touré glaubt man, dass er an seine eigenen Worte glaubt. Und das hat viel mit seiner Lebensgeschichte zu tun.
Aufgewachsen erst ohne Vater, dann ohne Mutter
Es ist eine Geschichte, die in Dakar beginnt, der Hauptstadt des Senegal. Als Touré zwei Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie. Er sucht ein besseres Leben in der Schweiz, baut sich in Burgdorf eine neue Existenz auf. Der Kontakt zum Vater bricht nie ab, doch Touré und seine beiden jüngeren Geschwister müssen trotzdem ohne ihn aufwachsen. Sie leben in Dakar bei der Mutter und beim Onkel.
Dann holt der Vater erst Touré, später den Bruder und die Schwester in die Schweiz. Es ist keine einfache Zeit. Touré spricht von traurigen Momenten, von Heimweh, obwohl er es eigentlich sehr gut hat beim Vater und der Stiefmutter sowie deren zwei Kinder. Die Mutter fehlt ihm.
Am Anfang war in der Schweiz auch die Sprache ein Problem. «Ich sprach nicht einmal Französisch. Im Senegal haben wir Mandinka gesprochen», so Touré. Die Mandinka sind eine Ethnie in Westafrika. Im Senegal ist ihre Sprache als Minderheitensprache anerkannt. Sie wird auch an Schulen unterrichtet.
Wenn Touré in der Schweiz manchmal traurig war und zurückgehen wollte zur Mutter, fand er Freude und Anerkennung beim Fussball. «Wenn ich spielen konnte, ging es mir gut. Und der Fussball half mir, in der Schweiz Kontakte zu knüpfen.» Touré begann bei den Junioren des SC Burgdorf. Doch bald schon wechselte er zu den Young Boys und spätestens nachdem er für die Schweizer U17-Nationalmannschaft in einem Spiel gegen Österreich zwei Tore erzielt hatte, galt er als eines der grössten Sturmtalente der Schweiz.
Sonderschichten mit Rafael Benitez
Das war 2017 und nun waren sie auch im Ausland aufmerksam geworden auf ihn. Newcastle United, Juventus Turin und Salzburg klopften an. Dem Traum vom grossen Fussball kam Touré einen Schritt näher, als er 2018 in die Nachwuchsakademie von Newcastle wechselte und dort im ersten Jahr als Spieler der zweiten Mannschaft (U23) auch regelmässig mit den Profis mittrainieren konnte. Rafael Benitez, der Champions-League-Sieger, war damals Trainer bei den «Magpies» und hielt einiges von Touré. Er förderte ihn. «Oft blieb er mit mir nach den Trainings noch etwas länger auf dem Platz und gab mir Tipps», erzählt Touré.
Aber Touré stand bei Newcastle United, damals noch nicht im Besitz eines saudischen Staatsfonds, bloss auf der Startrampe. Durchstarten konnte er nicht. Nach einem Jahr wurde Benitez entlassen, sein Nachfolger Steve Bruce fand für die Nachwuchsspieler keinen Platz in der Trainingsgruppe.
Und vor allem kam dann auch noch Corona. Lockdown, keine Trainings, abgebrochene Meisterschaft. «Einmal am Tag durften wir nach draussen gehen, um zu joggen», erzählt Touré. «Tragisch war das nicht. Als Fussballer geht man nicht oft in den Ausgang oder reist herum. Man bleibt zuhause, erholt sich.» Aber er denkt auch: «Es kann sein, dass meine Karriere anders verlaufen wäre ohne die Lockdowns. In England waren sie länger und härter als in der Schweiz.»
Doch Touré, der junge Mann für den aufzugeben nie eine Option ist, schaut nicht gerne zurück. Lieber richtet er den Blick nach vorne, auf die kommenden Aufgaben mit dem FC Aarau. Morgen Abend in Thun, gegen seinen Ex-Klub, dürfte er aufgrund der Sperre von Mittelstürmer Shkelqim Demhasaj von Beginn weg spielen. Und auch wenn er den Traum von einer grossen Karriere, von einer grossen Liga noch nicht aufgegeben hat (Stichwort: nicht aufgeben), will er Schritt für Schritt gehen. «Möglichst regelmässig spielen für Aarau, konstante Leistungen zeigen. Und natürlich der Mannschaft mit Toren helfen», so umschreibt er das.
Tore, viele Tore. Das mag gerade ein ambitioniertes Ziel sein für einen, der am letzten Samstag seinen ersten Treffer seit anderthalb Jahren erzielte. Doch wenn man auf Tourés Karriere blickt, sieht man nicht bloss Verletzungen und langwierige Corona-Lockdowns. Als er in der Rückrunde 2021/22 für einmal während Monaten verletzungsfrei blieb, schoss er für den FC Wil in 17 Spielen sieben Tore. Vielleicht hat Touré gegen Nyon Anlauf genommen für eine ähnliche Serie mit dem FC Aarau.
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